III

“Was heißt vom Dach gestürzt?”, fragte Sven entsetzt. “Und dann? Hast du ihn einfach liegen lassen?
“Achso!”, sagte Peter und fasste sich an den Kopf. “Lass uns mal hinschauen.” Er lachte künstlich, als würde er sich eines ziemlich dummen, vermeidbaren Fehlers bewusst.
Sven schüttelte sprachlos mit dem Kopf. In seinem Hirn ging alles drunter und drüber. Aufgeregt stammelte er: “Scheiße, los! Fahrrad!” und holte sein Mountainbike sowie ein altes Damenrad aus dem Keller. Peter musterte letzteres skeptisch. “Dein Ernst?”, fragte er. “Mein Ernst!”, sagte Sven. “Und jetzt los!”
Bis zum Schmiedehammer war es nicht weit, doch als Peter seinen massigen Körper auf das klapprige Rad bugsierte, dieses zu ächzen und stöhnen begann und der Reifendruck sich derart schnell verflüchtigte, als wären die Reifen geplatzt, sagte Sven einsichtig: “Wir tauschen.” Und so fuhren unsere Helden die kurze Strecke in gemächlichem Tempo, da Sven immer wieder auf Peter warten musste, bis sie nach wenigen Minuten am Schmiedehammer angekommen waren. Die Bar stand einsam und verschlossen an diesem grauen Novembernachmittag, von Hannes keine Spur. Peter stieg schnaufend von dem vor Erleichterung aufatmenden Mountainbike ab und schmiss es seitlich von sich in den Dreck.
“Peter!”, sagte Sven ernst, “Wenn das wieder so ne scheiß Luftnummer ist, ich schwöre dir, dann kriegst du bei mir Hausverbot.”
“Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass der vorhin noch hier lag.”, erwiderte Peter.
“Und warum hast du ihm dann nicht geholfen? Wie kommst du darauf, dass er vom Dach gestürzt ist?“
Peter warf die Stirn in Falten und überlegte einige Sekunden, was er antworten sollte.
“Willst du wissen, was in dem Brief steht?”
“Ist das denn wichtig?” Sven lachte hysterisch.
“Nee, aber komisch. Also, da steht…“:

An die Menschheit!
Als Exemplar deiner Gattung sowie Art- und Leidensgenosse, ist es mir ein besonderes Anliegen, ein paar Worte an dich zu richten. Wenn ich könnte, würde ich ab jetzt ohne Floskeln sprechen, ausnahmslos, ohne Kitsch und ohne Zweideutigkeit. Aber es wird mir nicht gelingen, so viel weiß ich bereits. Mit dir zu reden, ist wie Jonglieren mit brennenden Bällen. Selbst wenn du Handschuhe trägst, verbrennst du dich früher oder später und lässt sie fallen. Womit ich mein Versprechen, ohne Floskeln auszukommen, bereits gebrochen habe. Tut mir leid.
Mit dem Wort kommt die Perspektive, die Subjektive, die Anmaßung. Du kannst noch so viel Wahrheit in deine Rede mengen, am Ende stellt jemand alles Gesagte auf den Kopf. Gleichgesinnte – ja! Aber bleibt nicht die Gier deine treibende Kraft, die alles andere mit sich in den Abgrund reißt?
Hüte dich vor den ellenbogenschwingenden, leichenreitenden Großmäulern unter dir – dieses mit leeren Worthülsen um sich werfende, ewig zu dick auftragende, jedem etwas verkaufen wollende und nimmersatte Gesindel – und besinne dich auf dich selbst. Greif nicht nach den Sternen, sondern höre in dich rein.
Wer bist du?
Ich bin der, der lauthals lachen können möchte, ehrlich und ungezwungen, so dass es jeder hört und mitlacht, einschließlich meiner selbst, der von außen auf die lachende Person schaut; so dass mein Lachen alles vereinnahmt, auch mich. Und wenn mein Bauch dann schmerzt vor Lachen, trete ich hin zu mir und lasse den Beobachter herein, so wie es vorher noch nie ganz war, so wie es göttlich wäre. Siehe, dass ich du bin und du bist ich.
Hoffnung – vielleicht! Doch am Ende ist der Mensch ist dem Menschen… ein Mensch.

Ein Rascheln drang aus dem zugewucherten Blumenbeet vorm Schmiedehammer an die Ohren unserer Helden. “Ist das nicht…”, fragte Sven und näherte sich einem dichten Gebüsch, “…ein Fuß?” Das Rascheln wurde lauter und plötzlich erhob sich Hannes wie Phönix aus der Asche und erbrach an sich herunter. “Ihr…”, sagte er vorwurfsvoll, “…Esoterik-Schwuchteln!” Er wedelte abschätzig mit der Hand. “Ach, leckt mich am Arsch!”, bemerkte er und zog schwankend von dannen.