II

Manchmal war die graue Wand braun, manchmal schön und manchmal trostlos, doch nie hatte Sven sie als etwas zweckmäßiges betrachtet. In seiner Vorstellung war sie vieles gewesen: das einzige Gemälde, dass sich Peter jemals würde leisten können, eine Metapher für sein Leben, dass manchmal bedrohlich bröckelte, doch dessen Fundament auf seine eigene Weise unantastbar war, ein Makrokosmos, den es lohnte bei verschiedensten Tätigkeiten anzustarren und dann wieder zu hinterfragen. Doch als Sven jetzt vor ihr stand, musste er sich eingestehen, dass sie auch und vor allem eine Wand war. Etwas, dass das Außen von dem Innen trennte. Ein Gebrauchsgegenstand, der von ihm, von Sven, rücksichtslos und ohne Reue mit Bedeutung geschwängert worden war, doch der sich nun an diesem wolkenverhangenen Wintertag, die Deutungshoheit über die eigene Sinnhaftigkeit zurückerkämpfte. „Der wird sich aber wundern!“ Peter, der jetzt aus unerfindlichen Gründen eine braune Perücke trug, lausche den nahenden Schritten des Pfarrers voller Vorfreude, doch nach einer Weile verklangen die Geräusche. Ungeduldig hämmerte Peter mit den Fäusten gegen die schwere Holztür. „Herr… Pfarrer. Dies ist ein dringender Notfall.“ Kommen Sie sofort vor die Tür, wir müssen mit Ihnen reden.“ Sven meinte ein tiefes Atmen hinter der Tür zu vernehmen.

„Wer ist da?“ Die Stimme des Pfarrers klang brüchig.
„Herr Pfarrer. Wir wissen was Sie tun und fordern Sie auf uns umgehend Zutritt zu Ihren Gemächern zu gewähren.“
„Wer ist da, was wollen Sie?“
„Wir sind die, die alles wissen und was wir wollen, habe ich Ihnen gerade erklärt.“
„Ich werde jetzt gehen.“, sagte der Pfarrer, der scheinbar keine Anstalten machte zu gehen.
„Herr Pfarrer, es geht um ein Opfer, von dem Sie schon lange wissen, dass es irgendwann gebracht werden muss.“ Sven schaute Peter verängstigt an. Doch Peter lächelte nur und schüttelte den Kopf, was Sven noch mehr irritierte.

Mit einem Ächzen wurde die schwere Tür geöffnet und Peter und Sven standen einer kleinen Gestalt mit kahlem Kopf gegenüber. Verängstigt schaute das Männchen auf den über ihm aufragenden Peter, der den ganzen Türrahmen ausfüllte. Wild und panisch flackerte sein Blick.

„Sind Sie ein guter Christ?“, dröhnte Peters Stimme und bevor der Pfarrer etwas erwidern konnte, wurde seine Stimme sanfter „Seien Sie ehrlich mein Freund. Auch wenn Sie es nicht ahnen, so weiß ich vieles und sehe, was nicht viele sehen.“ Die Stirn des Pfarrers war von Schweiß bedeckt. Erst jetzt bemerkte Sven, den schon vergehenden Geruch von Rauch und Bier, der ihn unwillkürlich an eine fast vergessene Freiheit und kalte Winterabende erinnerte. Die aufsteigende Erinnerung stand im Gegensatz zum Anblick des zitternden Männchens, doch drängten sich die Bilder immer stärker in den Vordergrund. Eine weiße Landschaft, Wiesen und Bäche und Flüsse. Und in dieser weißen Welt zwei Gestalten, die sich mühsam durch den Schnee kämpfen. Stechende Luft und eine Klarheit, die Lungen und Bronchien und Kapillaren zu zerreißen droht. Ein wohltuender Schmerz, eisige Kälte, keine Zukunft und keine Gedanken. Die flehende Stimme des Pfarrers überlagerte die Bilder in Svens Kopf. „Vergib mir Herr, ich war kein guter Christ, denn ich habe gesündigt und ich habe gezweifelt. Ich habe mich von Trugbildern leiten lassen und die flüchtigen Erscheinungen der Welt für deine Offenbarungen gehalten. Die Seele ist groß und die Liebe ist groß, doch dieser Größe zu huldigen, war ich nicht im Stande. Falschen Götzen haben ich gelauscht und falsche Gebete habe ich gesprochen. Der Körper war mir näher als der Geist und heilige Offenbarungen habe ich mit Ekstase verwechselt. Vergib mir.“ Verzweifelt umklammerte der Pfarrer Peters Beine und flehte um Vergebung, bis dieser sich zum ihm beuget, ihm über den Kopf strich und etwas ins Ohr flüsterte. Anschließend warf Peter den Pfarrer über seine Schultern und ging mit ihm die Treppen des Turms hinauf.