VI

„Nur noch eine Sekunde, ich bin hier mit Herrn… mit Herrn Sven in einem äußerst wichtigen Gespräch. Volker lachte noch immer und sein Gesicht war mittlerweile dunkelrot. Sven sah wie der Schweiß von Stirn, Nacken und Kinn in seine Kleider rann. Sein weißes Hemd war mittlerweile gräulich verfärbt und unregelmäßig mit Flecken bedeckt und sein Bart wirkte wie eine postmoderne Skulptur aus der scheinbar quellenlos und überbordend Wasser austrat, das sich auf den feinen Härchen zu immer größeren Tropfen sammelte, die bei jedem ekstatischen Lachen des mächtiges Körpers auf und ab schwangen und wie festgeklebt schienen. Wasserbart und Biertitte, dachte Sven unwillkürlich und sagte es, um es sich für später einzuprägen noch ein paar mal laut vor sich hin. Der Tag verlief erfolgversprechender als gedacht und war auf absurde Weise realistischer als seine vorigen Besuche beim Amt. Durch Volkers Lachen ermutigt, grinste nun auch er debil vor sich hin und sagteetwas lauter: Biertitte und Wasserbart. Die Geräsuche, die aus Volker hervorquollen wurden nur noch euphorischer und erste Tränen flogen durch die Luft auf vor ihm liegende Unterlagen. Spontan wagte sich Sven an einige Improvisationen: Bierbart und Wassertitte, Bartwasser und Tittenbier, Bierwasser und Tittenbart, Wasserbier und Bartitte. Gerade war Sven dabei sein Vokabular neu zu ordnen und subtile Neukombinationen in den bestehenden Rhythmus einzuflechten da öffnete sich die Tür und Lydia betrat verärgert den Raum. „Ach, na sowas…. Lydia.“ Volker brachte die Worte nur mühsam hervor, doch langsam entspannte er sich. Verschwörerisch blinzelte er Sven zu „Schön das du hier bist, ich möchte dir unbedingt Herrn, Herrn, Herrn… Sven vorstellen. Du wirst begeistert sein. So einen hochmotivierten und engagierten Kandidaten hatten wir hier schon seit Monaten nicht. Grandios, ja famos. IT-Spezialist, Literat und Wortakrobat.“

„Ach Lydia.“, stammelte Sven. „Na, da bist du ja! Volker hat mir gesagt…“

„Herr Meier. Also wirklich Herr Sven, ich bitte Sie. Wahren Sie Haltung auch im Angesicht der Liebe.“ Volker hob tadelnd den Zeigefinger und schwenkte ihn lächelnd von links nach rechts.

„Also Herr Meier hat mir gesagt… Moment, Moment. Ich dachte ich sollte dich, also Sie Volker nennen, dass haben Sie doch selbst gesagt.“

„Herr Sven, ich glaube Sie verstehen den Ernst der Lage nicht. Ich bin ihr Sachbearbeiter, ich bin dafür zuständig Ihnen einen neuen Job zu vermitteln, ich erstatte Bericht an höchste Stelle über Ihren Erfolg und Misserfolg, bestimme somit direkt oder indirekt, je nach Auslegung, über die Fortführung Ihrer Sozialleistungen, bestimme darüber ob Sie im Winter ein Dach über dem Kopf haben, ob Sie im Winter frieren, ob Sie es sich leisten können zu essen oder hungern müssen. Ich bin sozusagen oberster Richter über Ihr Leben. Und Ihren Tod. Herr Sven wissen Sie denn, wer im allgemeinen Verständnis, neuzeitliche Strömungen außer Acht gelassen, dazu in der Lage ist, zu entscheiden, ob etwas leben oder sterben soll.“ In diesem Moment hielt Volker die Luft an und sein Finger stand drohend in der Luft. Alles war still und Sven musste sich eingestehen, dass er der traurigen Komik der Situation den Vorzug gab gegenüber den erniedrigenden Routinen der sonstigen Behördengänge.

Stille. Zäh stehende Sekunden und ein schwankender Finger in der Luft. Sekunde um Sekunde und niemand sagte ein Wort, sodass Sven überlegte, ob er nicht vielleicht eine neuerliche Erklärung fordern sollte. Und doch schien es unangemessen, solang der wulstige Finger in nebulöser und bedeutungsschwangerer Haltung über ihm kreiste.

Geräuschvoll blies Volker die Luft aus: „Gott. Gott richtet über Leben und Tod. Ich bin ihr persönlicher Gott. Der Allmächtige Ihres Lebens. Und glauben Sie, dass ein Gott einem Sterblichen das du anbieten würde?“

Als Sven nicht antwortete, lehnte sich Volker über seinen Schreibtisch und piekste ihn mit einem Bleistift aufmunternd in die Rippen. „Glauben Sie, dass ein Gott geduzt werden möchte?“, wiederholte er mit stechendem Blick.

„Also…“, begann Sven nach einer Weile. „Das kommt vielleicht auch darauf an, ob es mehrere Götter gibt und die sich dann duzen, wenn sie im Fragilem Säuferglück zusammen…“

„Nein“, brach es aus Volker hervor „ein Gott besteht auf das Sie. Seien Sie froh Herr Sven, dass ich in diesem Fall ein gnädiger und kein rachsüchtiger Gott bin.“ Hocherfreut und glücklich begann er wieder zu lachen.