VI

Mo stand gedankenverloren in der Küche seiner Bar, ohne genau zu wissen, was er hier eigentlich wollte. „Scheiß Tag“, sagte er laut, um sich zu orientieren. Er öffnete den Kühlschrank und als sich die Erkenntnis noch immer nicht einstellte, fügte er lauter und aggressiver hinzu „Scheiß Nacht, Scheiß Morgen, Scheiß Mittag, Scheiß Abend!“ Aus dem Nebenraum erklang ein zu stimmendes Grunzen. Keine Resignation, keine Neuigkeit, Erkenntnis: „Wie immer.“

„Erkenntnis.“, dachte Mo, „Eier.“ dachte Mo. Die Fächer des Kühlschranks waren sauber und leer. Ein Joghurt und eine Apfelsine, ein Salatkopf, zwei Tomaten. Mo erinnerte sich an den Einkauf letzte Woche. Freudig irritiert hatte er den Einkaufswagen durch die Gänge geschoben. In der Hoffnung auf ein besseres Leben hatte er immer neue Wege entdeckt, immer neue Bereiche hatten sich in dem kleinen aber verwinkelten Supermarkt erschlossen, und am Ende hatte er lächelnd und triumphierend vor der Verkäuferin gestanden, hatte ihr tief in die blauen Augen geschaut und an eine Zukunft geglaubt. Nun lag der halbe Salat vor ihm. Die grünen Blätter hatten an einigen Stellen begonnen sich gelb zu verfärben. Der Bio-Aufkleber war von kleinen braunen Punkten umsprenkelt. „Scheiße.“ dachte Mo. Wütend holte er den Salakopf, die noch roten Tomaten und die frische Apfelsine aus dem Kühlschrank und schmiss sie fluchend in den Müll. Er öffnete den Joghurt nahm ein Bissen und dachte wieder „Scheiße, das bringt doch jetzt auch nichts mehr.“ Er warf den Joghurt an die Wand und fühlte sich erleichtert. Gerade als er den Kühlschrank wieder schließen wollte, entdeckte er in der hintersten Ecke eine kleine braune Verpackung. „Eier“, dachte Mo, „Strammer Max, na also“.

Das Ablaufdatum war nach seiner Kalkulation noch zwei Tage entfernt oder erst seit zwei Tagen überschritten. „So oder so“, dachte Mo, „Passt schon.“ und hatte die Hoffnung, dass der Tag vielleicht doch noch nicht verloren war. Als die Pfanne erhitzt war und das Öl, fettig und heiß um sich spritzte, gab er zwei Eier in die Pfanne. Er beobachtete das Eiweiß, dass am Rand erste Blasen aufwarf und sich langsam verfestigte. In der Mitte schwamm das Eigelb auf einem glasigen Film von zäher, durchscheinender Flüssigkeit. Mo schwenkte die Pfanne leicht von links nach rechts und das Eigelb folgte seiner Bewegung. „Pervers“, dachte Mo und fragte sich, ob er nicht gerade doch, in unbestimmter Weise ein Leben oder besser gesagt zwei Leben vernichtete. Also keine wirklichen Leben, aber die Möglichkeit auf Leben. „Wobei, es ohne mich, also mich als Endverbraucher, auch keine zwingende Notwendigkeit für dieses mögliche Leben, gegeben hätte.“, überlegte Mo. „Und gerade hier liegt die Schuld“, dachte Mo. „Kein Ei, also auch kein Huhn. Kein Leben, also auch kein Leiden. Oder ist es das wert, dachte er. Ein Leben im Leiden, um des Lebens Willen? Nur um gelebt zu haben und nur um sterben zu können?“ Der Gedanke verunsicherte ihn und ungeduldig schwenkte er die Pfanne in der Hoffnung, das Ei möge sich endgültig verfestigen und in der Hoffnung die Pfanne möge ihn nicht länger aus zwei missgebildeten gelben Augen anstarren. Der Geruch von Spiegelei stieg in Mo’s Nase und ein leichter Brechreiz kroch seine Kehle empor. Er musste an die letzte Woche denken, als Hannes mitten in der Nacht von seiner Freundin erzählt hatte. Mo hatte hinter der Bar gestanden und ins Bett gewollt aber Hannes wollte einfach nicht aufhören zu erzählen. Von Freunden und Affären, von der Bundeswehr und seiner Zeit als Berufssoldat am Horn vom Afrika, von seiner Mutter und seinem Stiefvater, von S&M und von Liebe und schließlich von seiner Freundin. Mo hasste Hannes nicht aber er mochte ihn auch nicht. Er mochte ihn eigentlich überhaupt nicht und wenn er länger darüber nachdachte, kam er doch zu dem Schluss, dass er ihn hasste. An diesem Abend war Mo müde gewesen und zu schwach um Hannes zu ignorieren. Anfangs hatte er nur Wörter und Wortfetzen aufgeschnappt wie beste Zeit, Sehnsucht, Bondage, Vaterland, Blasen, Gedenken und Tittenfick, doch mit der Zeit war es immer schwieriger geworden, sich auf etwas anderes als auf Hannes glückliche und dümmlich selbstbewusste Stimme zu konzentrieren. Und so hatte Mo von Hannes Freundin erfahren und nicht gewusst ob die Geschichte für ihn oder jemand anderen bestimmt war. Mo wusste nun, dass Yasmin es mochte zu Blasen. Zu Blasen und dann zu Schlucken, was, so Hannes, ganz ok und auch schön sei aber mittlerweile überhand nehme. Überall und jederzeit wolle Yasmin an Hannes Schwanz lutschen und sein Sperma aussaugen. Spermapir hatte Mo da gedacht und kurz gelacht, doch Hannes hatte sich nicht beirren lassen. Überall und immer wolle Yasmin blasen und neulich, als sie zu Hause waren, kam Hannes auf Yasmins Bauch. Als Yasmin dann aufstand, hatte Hannes gedacht, sie wolle sich die Wichse vom Bauch wischen, doch er hätte sie dann in der Küche gesehen, wie sie ein Ei in eine Schale gab, das Sperma von ihrem Bauch wischte und alles in einer Pfanne zu Rührei vermischte und schließlich aß. Hannes war erst verwirrt und dachte, dass er die einzelnen Versatzstücke dieses seltsamen Prozesses falsch auffasste oder zumindest falsch zusammensetzte, doch von dieser Nacht an wiederholte sich der gleiche Vorgang an jedem Abend und nun sei der Kühlschrank der gemeinsamen Wohnung gefüllt mit Sperma-ei und Yasmin versuche Hannes zu überreden, es doch wenigstens einmal zu probieren. Das sei schon alles etwas komisch und abartig, hatte Hannes zugegeben, doch nach zwei Wochen, habe Yasmin plötzlich ein rotes Gesicht, rote Arme und überhaupt eine rote Haut mit nässenden Ausschlag bekommen. Yasmin sei verzweifelt gewesen und schließlich zum Arzt gegangen. Dieser hätte dann festgestellt, dass Yasmin eine Eiweiß-Allergie habe. Seitdem befinde sich Yasmin in einem persönlichen Dilemma. Haut oder Sperma.

Der Kopf in Mo’s Händen hatte sich da schon schwer angefühlt und seine Augen waren geschlossen, um nicht weiter in Hannes Gesicht starren zu müssen. Er war zu müde gewesen um irgendetwas zu denken oder die aufkeimenden Bilder in seinem Kopf zu verscheuchen. Nach einer Weile hatte er die Schürze in die Ecke geworfen, hatte sich die Treppen hinauf gekämpft und schließlich schlaflos in seinem Bett gelegen. Allein mit Hannes albernen Geschichten, die noch immer von unten aus der Bar erklangen und den unsinnigen Phantasien in seinem Kopf.

Als Mo jetzt am Herd stand, die Pfanne in der Hand, erinnerte er sich an Hannes‘ Geschichte und stellte sich vor, wie sich eines Tages, das Hühnerei mit dem Sperma verband, und durch Hitze und Öl als Katalysator ganz unerwartet ein unwahrscheinlicher biologischer Prozess in Gang gesetzt wurde. Er sah Hannes‘ Kühlschrank vor sich, aus dem eines Nachts ein seltsames Zwitterwesen fiel. Hühnerkopf und Menschengestalt. Oder Menschenkopf und Hühnerkörper. Mo stellte sich diese Gestalt vor, wie sie mit traurigen Augen in seine Bar kam, auf seinen Tresen sprang und ihn vorwurfsvoll ansah.

Der Brechreiz in Mo’s Kehle wurde stärker und er rettete sich noch zum Waschbecken, in dass er sich übergab. Die Pfanne qualmte und das Ei war zu einem schwarzen Klumpen zusammengefallen, als Mo die Herdplatte abstellte. Er war erleichtert und füllte zum ersten mal an diesem Tag so etwas wie Glück und Erleichterung. Aus dem Barraum hörte er wie die Tür ins Schloss fiel und jemand „Hi Hannes, ist Mo da?“ sagte. Kurze Zeit später hörte er Peters Kichern und dann: „Hi Mo wir sinds, alles klar bei dir? Stinkt hier ja schlimmer als bei Sven zu Hause! Zwei Bier und Svens Brief!“