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„Wie war es denn nun auf dem Amt…?“, wiederholte Sven gedankenverloren. „Auf dem Amt… Hmm… Gute Frage, vielleicht bin ich auch deswegen hier, aber lass uns nun doch endlich mal irgendwohin setzen.“

Ohne ein weiteres Wort gingen sie die Treppe hinauf und betraten das unbeleuchtete Wohnzimmer. Peter arbeitete sich umständlich zu der kleinen Theke in der hinteren rechten Ecke des Zimmers vor, holte zwei Bier, klemmte sie sich unter den Arm und trug einen der Barhocker zu dem bereits vor dem Fenster stehenden Stuhl.

„Nun setz dich erstmal und erzähl!“, sagte Peter.

„Das ist gar nicht so einfach.“, versuchte Sven einen einfachen Einstieg für ein komplexes Problem zu finden. „Ich kann nicht einmal genau sagen, ob ich überhaupt auf dem Arbeitsamt war. Woran ich mich erinnere, sind die Frau am Empfangsschalter und die LED-Lampen im Gang. Die Frau war tätowiert und hatte rote Haare. Die LED-Lampen waren hell und haben nicht gesummt. Irgendwie war die Situation unwirklich und dann bin ich aufgewacht.“

„Was ist denn da daran unwirklich? Manche Leute haben eben rote Haare und sind tätowiert, auch wenn sie für ne Behörde arbeiten. Man muss das ja nicht gut finden, aber das hat was mit unseren modernen westlichen Werten zu tun. Individualismus über alles und so, Hauptsache ich bin anders als die anderen. Und mit Gleichberechtigung und Emanzipation. Wir wollen ja zeigen, das wir für alles offen sind und alles akzeptieren, vor allem andere Werte, und keine Rassisten sind oder Ignoranten. Und das gerade dann, wenn wir eigentlich furchtbare Spießer sind und uns das wirklich Andere eigentlich nen Scheiß interessiert und wir dem anderen gern mal so richtig auf die Fresse hauen würden, wenn er nicht unsere Meinung teilt. Also hast du den Termin nun sausen lassen und stattdessen davon geträumt? Und was soll das eigentlich mit diesen LED-Lampen? Warum sollen LED-Lampen zwangsläufig summen?“

Sven schaute erschöpft zur Kirchturmmauer und dachte darüber nach, wie es wäre, von Peter umgebracht zu werden. In gewisser Weise könnte man meinen, dass Peter auch ein Spießer sei, überlegte er. Also wenn man sich nur das unfassbar saubere Haus anschaute und den grünen völlig von Unkraut befreiten Rasen, und Peters meist tadellose Klamotten, die ihn zwar auf Grund seines massigen Körper nicht gut aussehen ließen, aber doch sauber und eben tadellos waren. Das mit Bestnoten abgeschlossene Architekturstudium, die guten Familienverhältnisse und überhaupt. Aber dann war Peter arbeitslos und verbrachte den Großteil der Tage damit, in einem dunklen Zimmer eine graue Steinwand anzustarren. Er hatte kein Auto, kein Fahrrad, keine Freunde, keine Freundin und soweit Sven wusste, und er wusste es wahrscheinlich am besten, keine Hobbys oder Interessen. Warum muss nur alles so kompliziert sein, überlegte Sven verzweifelt. Also eigentlich ist Peter wahrscheinlich doch kein Spießer, er mag es eben nur sauber, gepflegt und ordentlich, zumindest im Großen und Ganzen, nur nicht in seinem Leben an sich. Dann ist da aber auch der Fakt, dass Peter andere generell scheiße findet und vielen von diesen anderen gern eins auf die Fresse hauen würde. Allerdings sagt er das auch offen. Ist das nun ein Punkt für oder wider Spießer, haderte Sven und sagte schließlich: „Spießer hin oder her, LED-Lampen sollten summen.“

„Sven, sag mal geht’s noch.“, fuhr Peter empört auf, doch beruhigte er sich schnell wieder und fügte entschuldigend hinzu: „Ich meine, Lampen sollten vielleicht generell summen, aber so ist das manchmal. Willst du jetzt nochmal nen neuen Termin machen, wenn du nicht beim Arbeitsamt warst. Oder lässt du das jetzt gleich ganz sein? Ist vielleicht das Beste in deinem Fall.“

„Das Problem ist, dass ich wirklich nicht weiß, ob ich auf dem Amt war oder nicht. Wie gesagt, war alles ganz komisch. Aber das muss ja nun nicht dafür sprechen, dass ich alles nur geträumt habe. Manchmal, wenn ich mit dir oder jemand anderem irgendwohin gehe und wir trennen uns kurz, um auf Toilette zu gehen oder Bier zu holen oder was auch immer, dann denke ich darüber nach, was wäre, wenn ich dann auf dich oder wen auch immer warte aber es kommt einfach niemand wieder. Ich würde versuchen denjenigen zu finden, doch da ist niemand und schließlich müsste ich mir eingestehen, dass du gar nicht existierst und nie existiert hast. Seltsam ist, dass ich letztendlich immer fest davon überzeugt bin, dass ich auf niemanden warte und es mich verwirrt, wenn dann plötzlich doch jemand wiederkommt.“ Sven machte ein Pause. „Sag mal, wie würdest du mich eigentlich umbringen?“