II

Hatte er das wirklich gerade gesagt? Er konnte es beim besten Willen nicht genau erinnern, als er am Frühstückstisch seinen lauwarmen Kaffee schlürfte und wahllos in der Zeitung blätterte. Überhaupt konnte er sich nicht entsinnen, ob er gestern oder an diesem Morgen wirklich auf dem Arbeitsamt war, das heißt, er konnte auch keinen genauen Zeitpunkt festlegen, der diesem Ereignis entspräche. Hat er das nur wieder geträumt?

In seinen Träumen flucht er gern und viel. Scheint eine Art Verdrängungsmechanismus zu sein, weil sein Leben in relativ eintönigen Bahnen verläuft und Aufmerksamkeit erregende Ereignisse wie das Fluchen einfach selten in seinen Alltagssituationen vorkommen, geschweige denn angemessen erscheinen.

Er zermaterte sich noch eine Weile sein Gehirn darüber, ob er die Sache nun geträumt hatte oder nicht, ließ dann aber gelangweilt ab, da seine Bemühungen im Sande zu verlaufen schienen. Ein Artikel in der Zeitung machte ihn neugierig. Da hieß es: „10 Gründe, warum Ohrenschmalz in jedes Ohr gehört – Ein HNO-Spezialist packt an und aus! Ohrenschmalz, das unterschätzte Schmiermittel der Querhörergesellschaft.“ Die reißerische Überschrift überforderte ihn, daher überflog er die einzelnen Punkte nur. Ohrenschmalz bei Ratten stelle eine bereichernde Füllsubstanz zum Gehirn dar. Ohrenschmalz als Puffer zum sensiblen Innenohr. Das Penetrieren der Ohren mit Wattestäbchen sei Todsünde. Menschen, die anderen Menschen in die Ohren sähen und dies als eklig empfänden, seien nicht ganz sauber. Ohrenschmalz – Gott erhalt’s! Ohrenschmalz aufs Brot usw. Sven machte die Fingerprobe und schaute erleichtert auf den schmierigen, gelben Fleck an seiner Fingerspitze. Hauptsache gesund!

Er beendete sein Frühstück, frischte sich auf und überlegte beim Blick in den Spiegel, welcher Tag heute war und was er vorhatte. Das Leben in Arbeitslosigkeit war geprägt von Momenten der tiefen Zerstreutheit und Gleichgültigkeit, aber auch Momenten der Eingebung und Motivation. Jedoch schien das Gleichgewicht gestört und er fühlte sich an diesem Morgen sehr lethargisch und generell antriebslos. Dennoch fasste er den Entschluss, den heutigen Tag sinnvoll zu gestalten. Seinen Freund Peter wollte er besuchen. Dieser wohnt nicht weit entfernt und teilt das gleiche, arbeitslose Schicksal. Er wird von allen nur Quadratpeter genannt, weil er so dick ist, also doppelt so dick wie normale Menschen. Er war wirklich ziemlich raumeinnehmend, fand Sven, der dies Peter aber nicht ins Gesicht sagen würde, weil ihm Äußerlichkeiten seit jeher relativ egal waren. Peter freute sich bestimmt über seinen Besuch, denn er hat kaum Freunde, eigentlich gar keine außer Sven.

Es war kurz nach 10 Uhr. Sven wollte sich gerade aufmachen, als er einen Notizzettel auf dem Küchentisch bemerkte, auf dem vorher die Zeitung lag. Darauf stand: Wichtig! Heute, 11:15 Uhr, Termin beim Arbeitsamt. Hatte er den Amtsbesuch also vorausgeträumt? Bei der Vorstellung lief ihm ein kurzer Schauer über den Rücken. Oder war heute gestern? Oder morgen? Unsicher, ob er zum Amt oder zu Peter gehen sollte, verließ er die Wohnung.