I

„Mir brennt noch was auf der Seele. Zornig und hartnäckig lodert da was. Ich wundere mich, wie wir hierhergekommen sind, wir und generell alle anderen. Dass es uns noch gibt, als Spezies. Jahrtausende lang schleppen wir uns so durch und dann explodiert alles förmlich wegen so einer Dampfmaschine – lächerlich. Eine Art menschgemachter Urknall auf der Erde, der uns zu verschlingen droht. Aber wir schießen derweil lieber unterirdisch Teilchen aufeinander in riesigen Kollisionsringen, anstatt uns der oberirdischen Gefahr bewusst zu werden, die aus uns selbst entspringt.
Weißt du Peter, das alles geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich will mich nicht damit belasten, aber kann doch nicht anders, bin Informationsmasochist und zieh mir jeden medialen Furz in die Nase. Dabei verfluche ich mich und die ganze verdammte Informationsmaschinerie, vor allem das Internet. Und das Schicksal auch, dass es mich auf diese Bahn gezwängt hat.
Was gäb ich drum, früher geboren zu sein. Weiß nicht, so als Teil der goldenen Generation kurz nach dem Krieg, wo Aufbruchstimmung herrschte und jeder träumen konnte. Schau dich doch um, das sind jetzt die Bonzen-Rentner, die in ihren Limousinen an Fahrradfahrern vorbeifahren und mit hassverzerrten Fratzen Worte ausspeien, die man normalerweise seinem schlimmsten Feind nicht zumuten würde. Die Leute, die diesen Planeten maßgeblich durch ihren Lebensstil ruiniert haben und noch rechtzeitig abtreten werden, bevor hier alles zusammenbricht. Größtenteils unwissentlich – das ist ja die bittere Ironie. Umweltschutz wurde doch seinerzeit belächelt und ein globales Dorf waren wir auch noch nicht. Es gab halt damals noch kein Bewusstsein dafür, dass wir maßhalten sollten, um zukünftigen Generationen nicht das Wasser abzugraben. Stichwort: morphogenetische Felder.“
Peter ging langsam zum Fenster und schaute genügsam hinaus.
„Ach, ich wünschte, diese gottverdammte Büchse der Pandora namens Internet hätte sich nie geöffnet. Vielleicht hätte ich dann Zeit gefunden, etwas Anständiges zu lernen, einen handwerklichen Beruf etwa. Ich könnte einfach Teil der Dorfgemeinschaft sein, würde Fußball spielen im Verein und am Wochenende in der Kneipe sitzen und über derbe Zoten lachen, ohne mich stellvertretend für Randgruppe X oder Y angegriffen fühlen zu müssen. Stattdessen bin zu einer umherwandernde Hure mutiert, die sich alle zwei Wochen beim Arbeitsamt rechtfertigen muss, warum sie keine Freier an Land geholt hat.
Alles, was mich am Leben hält, sind infantile Gelüste nach einer Romanze, nach Sex, der nicht an Bedingungen geknüpft ist. Sex mit Lydia.“
Peter zuckte ein wenig, sein Blick behaarte aber weiterhin auf der Kirchenmauer gegenüber.
„Aber gleichzeitig habe ich Angst vor Frauen, besonders vor ihr. Schau dich doch um, wie viele verheiratete Männer wie kastrierte Pudel neben ihrer Frau herlaufen. Die Frauen fressen dich auf, das ist bei vielen Tieren so und bei uns nicht anders. Vagina dentata!“
„Hakuna matata?“, fragte Peter beiläufig.
„Bezahnte Muschi!“, erwiderte Sven und musste ein wenig lachen.
„Sven!“, sagte Peter. „Guck mal, der Pfarrer gegenüber zieht die Vorhänge zu. Jetzt wichst er bestimmt wieder. Lass uns doch mal rübergehen und nachschauen.“