Als er wieder zu sich kam, Schwindel, Sprache und Denken sich endlich aus ihrem Netz lösten und schließlich in Apathie aufgingen, merkte Sven, dass er vor seiner Haustür stand und im Kreis lief. Unsinnig darüber nachzudenken, wie lange er sich so, beobachtet von einigen missmutigen Hühnern auf der anderen Straßenseite, um seine eigene Achse bewegt hatte. War er schon laufen oder war es nur die Idee des Laufs, die die Hormone überschwänglich in seinen Körper gepumpt hatte und ihn das Bild eines perfekten Waldes phantasieren ließ. Sven blickte an sich hinab. Seine Schuhe und Kleidung waren von einer dunkelbraunen Schlammschicht überzogen. Allerdings, dachte Sven, sind das nicht meine Laufschuhe und überhaupt überlegte er, warum besteht meine Laufkleidung aus Jeans und Lederjacke. Verwirrt und lachend schloss Sven die Tür auf, riss sich seine Klamotten vom Leib und lief nackt durch die Wohnung. Schweiß rann warm und prickelnd an seinem Rücken hinab und als er sich für einen Moment auf sein Sofa setzte, freute er sich auf den nassen Abdruck den er auf dem Polster hinterlassen würde. Er saß und lauschte seinem Herzschlag. Laut und wild und schnell aber auch beruhigend, dachte er. Gut wenn man sein Herz hört. Dann weiß man das man noch lebt. Er dachte daran, dass sich manchmal, wenn er nachts aufstand und aufs Klo ging, sein Körper seltsam unwirklich anfühlte. Wie der Körper eines fremden, überlegte er, der Geist funktioniert und motorisch gibt es auch keine Probleme aber die Hände und Beine und auch der Kopf fühlen einfach nichts, sind einfach nur da und erledigen ihre Arbeit pflichtbewusst und der Verstand nimmt das alles nur wahr. Kennt gewissermaßen die Befehle aber erhält wenn man es so will keine Antwort. Ich sehe mir selber dabei zu wie ich mich bewege, wie ich von der Toilette aufstehe, wie ich abschüttele, Hose hochziehe, Hände wasche und bin erstaunt, dass ich mich bewege. Oder das sich jemand bewegt, wenn ich denke er sollte sich bewegen, auch wenn ich nicht wirklich Teil der Bewegung bin. Natürlich, überlegte Sven dann, gibt es dafür unzählige Erklärungen. Der Verstand oder Körper, oder das Nervensystem oder irgendwas, ist halt noch nicht richtig wach, also schon funktionsfähig aber nicht vollständig oder vielleicht schon aber irgendetwas ist eben noch nicht so ganz richtig verknüpft. Oder nicht mehr, je nachdem, wie lange man davor geschlafen hat. Aber meist kommt, dass immer nach dem Tiefschlaf, dieses Gefühl. Wenn man abrupt erwacht und Körper und Geist keine Vorbereitungszeit haben und dann doch so ganz plötzlich auf sich angewiesen sind. Also, versuchte Sven nun endlich etwas Klarheit zu schaffen, natürlich macht das Sinn, aber gerade dieser Sinn macht mir Angst. Wenn es Raum für Zweifel und Unklarheit gäbe, würde ich mich besser fühlen, dachte Sven, die Gewissheit vernichtet die Hoffnung und die Ungewissheit bietet eine Chance. Sven war mittlerweile aufgestanden und hatte sich in Richtung Badezimmer bewegt. In der Wohnung war es warm und er fühlte eine angenehme Erschöpfung und gelassene Euphorie. Er war nicht mehr weit von der Tür entfernt, als sich diese plötzlich öffnete und Peter nackt vor ihm stand. Sein Bauch strahlte rot und groß wie ein Planet und aus seinem Bauchnabel sprossen unbändig die Haare in alle Richtungen. Er sah aus wie ein verwahrloster Bär der langsam sein Fell verliert und von seinen Artgenossen gemieden wird. In seiner rechten Hand hielt er die leere Schokomilch. Sven war gleichermaßen erschrocken und schockiert, fühlte aber auch Mitgefühl mit sich selbst und tiefe Trauer. „Ver….“, setzte er an, brach dann aber erschöpft ab. So war es schließlich Peter, der Sven freudig begrüßte: „Ach Mensch Sven, hab mich schon gefragt, wo du eigentlich bist. Naja macht ja nichts. Bist ja auch nackt.“ Peter musterte Sven argwöhnisch „na Mensch, dass ist ja das erste mal, das wir uns so sehen. Hätte aber schon gedacht, dass du mehr hast.“ Sven der sich auf einmal sehr müde fühlte, wollte Einwände erheben: „Peter, das muss doch nicht sein. Weißt du, so Männerkörper. Das ist doch ekelig.“ Peter jedoch ließ sich nicht beirren „Ach Sven, du kleinbürgerlicher Wicht, schwul ist scheiße, Sex zur Fortpflanzung, du arbeitsloser Spießer! Du weißt doch was die Leute über uns sagen. Es gibt keinen Ruf mehr zu verlieren!“ Sven fragte sich ob Peter in seinem Kopf wohnte und jeden seiner Gedanken notierte. Oder vielleicht teilen wir uns zeitweise einen Kopf und darum fühle ich mich manchmal auch nicht wie ich selbst, sondern beobachte nur Peter wie er meine Gedanken und dann Bewegungen ausführt, ohne dass ich die Kontrolle habe. Vielleicht ist das seine Art und Weise vorzugeben, dass er nicht da ist, und dabei ist er doch immer da oder zumindest meistens und weiß alles was ich weiß und dann auch noch das was Peter weiß und ich nicht weiß. Sven wurde wieder schwindelig und nur der Anblick der Schockomilch und die aufkeimende Wut hieten ihn auf den Beinen.
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