Das kleine Haus, in dem Peter wohnte, lag auf der Spitze eines winzigen Hügels, so dass er aus seinem Schlafzimmerfenster direkt auf die Feldsteinmauer des gegenüberliegenden Kirchturms blickte. Genau genommen sah Peter aus allen Fenstern auf die unförmige braune Wand, die aussah wie ein Sinnbild menschlichen Strebens und des unausweichlichen Scheiterns. An ruhigen Tagen, von denen es in Peters Leben wahrhaftig nicht zu wenige gab, setzte er sich manchmal stundenlang vor die Fenster seines Hauses, erst in die Küche, dann Wohn- und schließlich Schlafzimmer, betrachtete die Kirchturmmauer, die Peter fast vollständig vom Tageslicht abschnitt und dachte, in vollkommener Dunkelheit über das Leben nach. Es waren keine sonderlich schweren Gedanken, auch wenn an ihren Anfängen zwangsläufig Streben und Scheitern standen. Doch wie kann man im Leben schon nicht scheitern, dachte Peter, wenn man doch weiß, dass mit dem Leben alles endet? Und wenn der Mensch schließlich nur scheitern kann, sollte man diesem Scheitern dann nicht frohen Mutes entgegengehen? Man kann doch nichts verlieren, was schon verloren ist, dachte Peter. Wenn am Ende allen Strebens das Erstrebte dann erreicht ist, torpediert dann nicht letztendlich die Unendlichkeit der Verluste einen endlichen Erfolg. Zweimal Minus ist Plus. Aber damit kommt man hier nicht weit, wollte Peter gerade denken, doch verharrte dann einen Augenblick. Eine unendlich große negative Zahl multipliziert mit einer negativen Zahl ergibt eine unendlich große positive Zahl. Fasziniert erhob sich Peter von seinem Stuhl und trat einen Schritt näher an das unmittelbar vor ihm liegende Fenster. Seine Gedanken überschlugen sich und er ahnte, dass er da gerade etwas Wichtigem auf der Spur war. Wenn ich also weiß, dachte Peter, dass ich, nicht als Individuum, sondern ganz allgemein als Mensch, nein mehr noch, als Lebewesen, negativ, also im Scheitern, das heißt mit dem Tod, ende, und auch im kleinen als Person in meinem eigenen Leben negativ, also im Scheitern, das heißt mit beruflichem Misserfolg, sozialer Inkompetenz, gescheiterter Reproduktion, ende, erreiche ich am Ende etwas Positives. Doch wie sieht dieses Positive aus, wollte Peter nun auch wissen. Vielleicht der Weg, dachte er. Maximaler Optimismus bei minimalem Erfolg.
Das penetrante Geräusch der Klingel riss ihn unsanft aus seinen Gedanken. Mit ungeahnter Schnelligkeit, die seine Körperfülle und die Bedeutung von Körperfülle im Allgemeinen in Frage stellte, drehte sich Peter um und rannte vom Schlafzimmer zurück in die Küche, riss eine Schublade auf und holte mit leicht zitternden Fingern ein Blatt Papier und einen Stift hervor und notierte hastig, aber fein säuberlich, einige Worte. Als er schließlich zur Haustür gehen wollte, stieß er auf halbem Weg schmerzhaft mit jemandem zusammen, der ziellos im Eingangsbereich herumstand.
„Au, so ne Scheiße, was ist hier denn los!“, schrie Peter, doch erinnerte sich an gerade gewonnne Erkenntnis und fügte leise „Ach, na Mensch, so was. Aber egal.“ hinzu.
Das Licht der Energiesparlampen erhellte den Flur nur spärlich, wurde dann aber langsam heller, so dass sich der gesichtslose Schatten, der sich gerade vom Boden aufrappelte, als Sven enttarnte.
„Ja was soll’s.“, sagte Sven etwas wütend darüber, dass er seine Wut nicht besser artikulieren konnte.
„Ach Sven, na Mensch, du hier. Wer auch sonst. Wie kommst du eigentlich, achso ja, ich sollte wohl wirklich mal abschließen. Aber wozu eigentlich?“
„Ja, wozu eigentlich.“
„Naja, vielleicht sollte ich zumindest mal andere Lampen einbauen. Scheiß Energiesparlampen, werden immer nicht hell. Gibt doch jetzt dieses andere Zeug. LED oder sowas. LED, was soll das eigentlich sein.“
„Licht emittierende Diode.“
„Achso. Na gut. Wie wars eigentlich auf dem Arbeitsamt?“, fragte Peter und wurde sich schließlich des auf dem Boden liegenden Zettels bewusst. „Auch egal, völlig egal.“, fügte er hastig hinzu, hob den Zettel auf und gab ihn Sven.
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