IV

Der Fluss war groß und dunkel und floss über durchsichtigen Grund. Umrisse von transparenten Bergen erhoben sich am Horizont. Zuerst kroch die Kälte ihr unter die nackte Haut, doch je weiter sie schritt, änderte sich die Temperatur und die Farbe des Wassers wechselte von tiefen schwarz, zu einem bläulichen weiß bis es schließlich rot war wie ihr Haar und kochend feurige Blasen warf. Die Stiche in ihrer Brust waren groß und immer noch rann das Blut unbarmherzig an ihren Armgelenken, am Bauch und den Beinen hinab. Sie konnte sich nicht erinnern je gedacht zu haben und zum ersten Mal sah sie ihre Füße, die sie tiefer in diese neue Welt trugen. Es war die einzige und schönste, die sie kannte. Lydia fragte sich, ob die Welt erst jetzt geschaffen wurde, da sie den Dingen Namen gab. In einer unbekannten Sprache, die keine Übersetzung kennt und daher keine Welt ist. Eine sinnlose Welt, die nur für ein Geschöpf existiert und nie wieder belebt wird.

Immer breiter wurde der Fluss, der sich wollüstig mit dem Blut an ihren Armen vereinte und dessen anderes Ende sie nun nicht mehr erblicken konnte. Einige Tage musste sie durch die Weiten dieser neuen Welt geschritten sein, denn regelmäßig veränderte sich die Schattierung, die das Wasser auf den weit entfernten Horizont und die nicht näher kommenden Berge warf. Neugierig beobachtete Lydia alles, was sie sah und gab dem Wasser einen Namen, der nicht Wasser war, den dunklen, in Schatten gehüllten Bäumen, einen Namen der nicht Baum oder Schatten war und allen Gegenständen einen neuen Namen. Lydias Sprache unterschied nicht zwischen den Dingen, kategorisierte und katalogisierte nicht, beschrieb und analysierte nicht und kannte nur ein Wort.

Nach einer langen, langen Reise erblickte sie am Rand des Flusses etwas, das wir als Boot kennen und dem Lydia nach einiger Zeit den gleichen Namen gab, wie den anderen Dingen auch. Als sie sich daran machte, das Boot zu besteigen, trat ein alter Mann an ihre Seite, blickte sie grimmig an und streckte ihr die offene Hand entgegen. Lydia kannte jedoch keinen Ausdruck und keine Gesten und so verstand der Mann und stieß das Boot vom Ufer ab, während er zurückblieb und sich der Sinnlosigkeit des Grußes bewusst, seine Hand zum Abschied hob. Lichter kamen und gingen, die Dunkelheit brach auf dem riesigen Gewässer über sie herein und Sonne und Mond spiegelten sich auf der mal ruhigen, mal tief zerfurchten Oberfläche des nun wieder völlig schwarzen Wassers. Während das rote Blut weiter an ihr herab floss, erreichte das Boot festen Untergrund und mit einem heftigen Ruck fiel sie in das undurchdringbare Wasser. Alles war nun schwarz und das gefiel ihr, denn auch die Dunkelheit macht keine Unterschiede.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf einer großen Wiese, auf der kleine Büsche wuchsen, die an einem langen Stiel rosafarbene Blüten trugen. Ein zartes gelblich goldenes Rinnsal schlängelte sich zwischen den Pflanzen einen sich leicht wölbenden Hügel hinab. Lydia erhob sich und je weiter sie sich der Spitze des Hügels näherte, um so deutlicher wurde, dass dort eine Gestalt stand und in ihre Richtung blickte. Zwei weitere Schemen saßen zu ihren Füßen und hatten Lydia den Rücken zugewandt.

H: Man gut, dass Mo immer noch nichts checkt. Zapft einfach immer weiter, ohne Rücksicht auf Verluste.
D (griesgrämig): Nichts hält für die Ewigkeit.
H: Das wir den Pan verloren haben, ist da halb so schlimm. Verloren im Nirwana. Warum eigentlich?
D (schweigend)
H (sein Glas zu Mo gebend): Dann haben wir wenigstens noch uns. Zwei allein. Oder drei, zumindest.
Lydia zu ihnen tretend, schweigend.
D: Na endlich passiert hier mal was. Name? Alter? Geschlecht, wobei…
H: Na und wenn was passiert, dann passiert es richtig. Hallo Schönheit, nicht so schüchtern.
Lydia schweigend.
D erkennend.
H: Ich zeige dir die Schönheit dieser Welt, zeige dir schwarze Fluten und blaue Nächte, hohe Täler und tiefe Klippen. Mo ein Glas für die blutende Dame.
Mo (mit erhobener Hand in eine unbestimmte Richtung zeigend): Peter.
D. (mit blassem Gesicht): Es ist soweit, es geht zu Ende.

Stille. Nach einer Weile leises Summen, das sich wiederholt. Bald sind die Worte zu erkennen: Und in donnernder Wut, am Felsen zerschellt, von Wasser umspült, zum Mahl verspeist, wurde sein Herz geborgen und neu gestaltet, in Chaos geboren, die Welt zu retten, kann es nur einen geben.

Peter (auf Lydia zu gehend und den Arm um sie legend): Du musst noch einmal mit mir kommen. Bald ist es geschafft.
Lydia ergreift weiterhin schweigend Peters Hand.
Peter (an die anderen gewandt): So ihr Knalltüten, Schluss mit lustig. Oder wer weiß, vielleicht auch nicht. (kichert) Tschüsschen mit Küsschen.
Peter und Lydia gehen schweigend davon.