II

„Sven! Komm herein, tritt ruhig ein, nicht so schüchtern.“ Schulz wirkte kokett wie ein Adliger des Rokoko und sprang leichtfüßig in seinem weißen Gewand auf und ab. „Darf’s etwas Tee sein? Gebäck?“
„Schulz, was soll das Ganze? Was soll das hier eigentlich werden?“, fragte Sven ernst und leckte sich die Blutkruste über der Oberlippe.
Schulz’ Miene verfinsterte sich. „Für dich ab jetzt Zeus, oder Göttervater. Zu meiner Linken die bezaubernde Aphrodite. Er pustete ihr einen Luftkuss entgegen. Und zu meiner Rechten Hermes, ähm, Hermann der Götterbote. Haha! Merk dir das, du kleines Gewürm.“
Daraufhin ertönte ein leises Kichern der rothaarigen Frau den Raum.
„Lydia, bist du’s?“, fragte Sven nervös, aber als Antwort erntete er nur wieder ein unpersönliches Kichern. Auch Hermann, der am anderen Ende des Tisches saß, stieg in das Kichern mit ein, wobei es eher nach einem Grunzen klang.
In diesem Moment erschien vor Svens Augen erneut die Szene beim Arbeitsamt. Welche frappierende Ähnlichkeit doch zwischen Hermann und diesem Sachbearbeiter, Volker oder wie er hieß, vorlag… Nur schien Hermann ein verzerrtes Spiegelbild Volkers zu sein: Die Mundwinkel hingen beim Lachen, welches kaum als solches erkennbar war, müde herunter, Körperspannung war nicht vorhanden, schulterlanges, ungepflegtes Haar verdeckte große Teile seines Gesichts. Er sah aus wie deprimierte Zwillingsbruder Volkers. Lydia kicherte weiter vor sich hin, während sie verlegen den Blick senkte.
„Hermann, halt’s… Halt dich zurück!“, sagte Schulz. „Sven, du musst entschuldigen, er ist mein debiler Ex-Schwager, ein Laster meiner ersten Ehe, lange, traurige Geschichte, ich will das nicht weiter ausführen. Ich hoffe, du nimmst dir meine Weisheit von vorhin zu Herzen. Es werden weitere folgen.“
Hermann grunzte wieder, diesmal unverkennbar schweinegleich.
„Schulz, hör auf mit der Scheiße!“, schrie Sven. „Was soll das hier werden, du krankes Arschloch?“
Schulz hielt für einen Moment erschrocken inne, ehe er sich wieder lockerte und bedrohlich ruhig äußerte: “Sveni, du solltest das Ganze hier nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hast du dich denn nicht gefragt, warum du hierher gekommen bist?”
Sven sah ihn verwirrt an. „Nun ja, irgendwie wollte Peter, dass wir hierher kommen. Ich sollte mal rauskommen, Abstand zu dem ganzen Arbeitsamtstress gewinnen. Aber ich verstehe langsam gar nichts mehr. Warum sind die Leute vom Amt jetzt hier? Das ist doch reinste Freakshow, ich meine, schau doch nur mal, was aus dir geworden ist? Irgend so ein Guru, der sich für Gott hält und obskure Leute um sich scharrt, denen scheinbar jegliches eigenständige Denken abhanden gekommen ist. Und das alles in unserem beschaulichen Dorf. Wie kann das alles sein?“
„Das sind alles Dinge, über die du dir nicht den Kopf zerbrechen solltest, Sveni. Frag dich doch lieber, warum dich dein treuer Freund Peter zu uns geführt hat. Vielleicht hat es eine Bewandtnis mit deiner Einweisung, deren Sinn sich deiner bislang entzieht.“
„Einweisung?“ Sven ließ den Blick schweifen und sah, wie Lydia erneut zu kichern anfing, ohne ihn dabei anzuschauen, woraufhin Hermann erneut in Grunzen verfiel.
„Jetzt sag doch auch mal was, Lydia! Die Briefe und das alles – wozu?“
„Sven!“, brüllte Schulz wütend, mit der Hand aud den Schreibtisch schlagend. „Das herauszufinden bedarf Zeit. Zeit, die wir dir geben können. Halt dich einfach an die Regeln und du wirst Antworten finden. Aber die Zeit läuft auch gegen dich. Du bist nicht umsonst hier. Ich wünsche dir einen erkenntnisreichen Aufenthalt. Und jetzt geh raus und schweig!“