XIII

„Was machst du denn?“, fragte Sven.
„Ja!“, sagte Peter. „Was wissen wir denn schon von dir, außer dass du ne Kneipe hattest und samstags aufm Fußballplatz ausgeschenkt hast?“
Schulz musterte die beiden scharfäugig und erwiderte mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme: „Na, das halt. Ich schenke aus, alles mögliche, nur jetzt jeden Tag.“ Er lachte und zog eine Schublade an seinem Massivholzschreibtisch auf. Er griff hinein und holte drei Zigarren heraus. „Lange nicht gesehen, Jungs. Schön, dass ihr mal vorbeischaut. Hier, kubanische.“
Sven verzog das Gesicht. „Nein, danke.“ Peter griff beherzt zu.
„Nun“, sagte Schulz, während er sich und Peter die Zigarren anzündete und ein paar Mal genüsslich paffte, „eines schönen Tages ging ich gutgelaunt zu meiner Gaststätte, machte mich daran, das Essen zu kochen, bereitete das Tagesgeschäft vor, alles wie immer, als mir plötzlich schwindelig wurde und ich in Ohnmacht fiel. Als ich wieder zu mir kam, standen viele Leute um mich rum, alles Dorfnasen, die mir schielend und lallend auf die Schulter klopften und ins Gesicht, und die ekelhaft lachten, als ich mich wieder aufrappelte. Alle dachten, ich hätte zu viel gesoffen und keiner von denen hatte es fertiggebracht oder wäre auch nur auf die Idee gekommen, einen Krankenwagen zu rufen.“
Er inhalierte einen tiefen Zug Zigarrenrauch und ließ den Blick schweifen. Sven und Peter folgten gespannt seinem Blick.
„An diesem Tag wurde mir etwas klar. Er blies einen großen Rauchschwaden fast in Zeitlupe aus. Auf Menschen ist kein Verlass, außer auf dich selbst.“
Nach einer merkwürdigen Pause sagte Sven plötzlich: „Das ist die banalste Geschichte, die ich je gehört habe. Was hat das mit diesem Haus hier oder überhaupt mit irgendwas zu tun?“
Schulz schlug mit den Fäusten auf den Tisch. „Natürlich ist das banal, du Schlaumeier! Das ganze verfickte Leben ist banal. Aber was bist du blöd, mitten in meiner Geschichte sowas zu sagen? Gut, habe verstanden, dann kürze ich die Sache ab: An diesem Tag schwor ich mir, das stumpfe Dorfleben, den Fußball und das ganze undankbare Pack hinter mir zu lassen. Dann ließ ich meine abgewrackte Kneipe in diesen Hochglanztempel umbauen; die Gesichter der ganzen Klappspaten während der Bauarbeiten hättet ihr sehen sollen. Ich sag nur: strengste Geheimhaltung. Die Gerüchteküche war natürlich am Brodeln. Ob ich völlig übergeschnappt wäre und einen Schlachthof bauen würde, um meine eigenen Würstchen zu verkaufen, so wie der Hoeneß. Ha, diese Deppen. Ich lief indes nur noch incognito rum, um die Verunsicherung weiter voranzutreiben. Es ging sogar soweit, dass die Bauarbeiter bedrängt wurden, ihnen zu erzählen, was mit mir passiert sei. Die glaubten wahrscheinlich, dass ich entführt oder verstorben sei und dass auf meinem Grundstück eine riesige Beautyfarm entstehen würde. Jedenfalls“, holte Schulz mit einem breiten Grinsen aus, „jetzt sitze ich hier, seht mich an, von überall her strömen stumpfe Gestalten in mein Kunstkloster und bezahlen ein Heidengeld dafür, sich den Großteil des Tages anschweigen und mir ab und zu bei meinen Gesangsübungen zuhören zu dürfen. Denn ich verfolge seit jenem schmachvollen Tag der Erkenntnis nur ein Ziel, nämlich mein Leben voll und ganz auszukosten.“ Ein Windzug umwehte seine schüttere Mähne. Peter kniff die Augen zusammen, als würde er geblendet.
„Zwei Dinge sind es, die mich antreiben: Geld und die bedingungslose Hingabe an Classic Rock.“
Schweigen breitete sich im Raum aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte Sven: „Ach ja, war n schöner Auftritt vorhin. Das Lied kannte ich irgendwoher.“
„Ja, wer da keinen Ständer kriegt, hat kein Herz!“, erwiderte Peter und beide lachten hysterisch los.
„Wollt ihr euch über mich lustig machen? Nun gut, dann geht zurück auf euer Zimmer. Bald ist Abendbrot, es wird eine Durchsage geben. Noch irgendeinen Wunsch? Vielleicht ne Lebensweisheit?“
„Ja, Schnee wär jetzt geil!“, sagte Peter.
Verdutzt starrte Schulz ihn an. Dann fuhr er sich stürmisch durchs Haar und durchsuchte mehrere Schubladen. „Ihr nun wieder“, sagte er, „muss gucken, ob ich noch was da hab. Das Zeug ist nicht so leicht zu bekommen, wisst ihr.“
Sven und Peter schauten sich fragend an und signalisierten diskret, dass der alte Schulz einen an der Klatsche hatte.
„Ich würd noch ne Lebensweisheit mit auf den Weg nehmen, wenn’s recht ist.“, sagte Sven schmunzelnd.
„Also gut!“, entgegnete Schulz, nachdem er sich wieder geordnet hatte. „Hier die Weisheit des Tages: Bleibt unbeweibt! Die Fickerei bringt nur Probleme.
Und jetzt husch husch!“

Auf dem Weg zurück zum Zimmer wussten die beiden nicht, was sie sagen sollten. So liefen sie wortlos die sprechenden Gänge entlang, während draußen unbemerkt dicke, weiße Flocken vom Himmel fielen.