XI

D: „Mo, jetzt sag schon.“
Mo, eine Kerze anzündend: „Ich glaube, ich wurde langsam verrückt. Musste weg. Hab wahrscheinlich nen Doppelgänger da unten.“
D, H und P gleichzeitig: „Doppelgänger!?“
Mo: „Ja, vielleicht ein Agent, auf mich angesetzt. Ich sag’s euch: Die Dinge laufen aus dem Ruder.“
D: „Mal langsam, Mo. Wie muss ich mir das vorstellen? Läuft da jetzt noch einer wie du rum, so…“
H: Lachend „…Mit Hinkebein und allem Drum und Dran?“
P: „Sei still. Hast deinen Auftrag schließlich auch vermasselt. Inzestuöses Halbgötter-Pack!“
D. „Haltet beide die Schnauze! Mo, was kannst du berichten?“
Und Mo erzählte von einem Mann namens Herrmann Mann, einem vom Leben bitter enttäuschten Idealisten, der aufgrund seiner perversen Neigungen ins Exil flüchten musste, wo er sich mit anderen gescheiterten Existenzen einer falschen Gottheit verschrieben hat. Seltsame Dinge gingen dort vor sich, gefährliche Dinge, die die göttliche Schöpfung durcheinanderbringen vermochten.
Betroffenes Schweigen machte sich im ‚Fragilen Säuferglück‘ breit, an dem Ort, wo es keine Zeit gab, wo alles nichts war und alles alles sein konnte.
D, finster und mit ernstem Ton an die Runde: „Das Menschenprojekt wird eingestellt.“

„Achtung, Achtung! Einleitung der Plauderphase. In zehn Minuten ist es wieder soweit: Unser Meister tritt im Saal der Verheißung auf. Alle Bewohner sind aufgefordert, sich unverzüglich auf den Weg dorthin zu begeben. Das Reden ist ab jetzt für eine Stunde erlaubt. Vielen Dank!“

Sven und Peter sahen sich verdutzt an.
„Was ist das hier nur für eine Freakshow?“, fragte Peter.
„Klingt doch toll!“, entgegnete Sven. „Lass uns schnell diesen Saal suchen.“
Plötzlich ertönte sanfte Rockmusik aus den Lautsprechern im Korridor. Peter und Sven verließen den Raum und sahen, wie weiß gekleidete Menschen wahllos aus ihren Zimmern und wie am Faden gezogen Richtung Wendeltreppe nach unten strömten.
„Mensch, Peter!“, sagte Sven aufgeregt. „Lass uns denen anschließen.“
„Ich weiß nicht! Irgendwie hab ich kein gutes Gefühl dabei, mich der Zombieparade anzuschließen.“
„Komm schon, wir wollen doch zum Meister, also zum Schulz. Komm!“
Der Weg verlief im Grunde unspektakulär, runter in die erste Etage, vorbei an den bizarren Kunstwerken und Parolen, zur Eingangshalle, wo eine Abzweigung in einen weiteren, prächtigen Korridor führte, an dessen Ende sich ein riesiges Tor befand, das mit einer weißen Schlange verziert war.
„Warum redet keiner von denen?“, bemerkte Peter, an den Hacken der übrigen Bewohner trottend. „Die hat doch gesagt, es sei erlaubt.“
„Wir genießen die Musik.“, sagte Sven. „Irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Wunderschön!“
„Wir? Die, betonte er überdeutlich, haben uns noch nicht mal eines Blickes gewürdigt. Ich glaub, die sind nicht ganz sauber.“
„Lass dich einfach drauf ein.“, grinste Sven.

Am Schlangentor stand die Empfangsfrau und wartete auf die Bewohner. Lächelnd vergewisserte sie sich, dass auch alle anwesend waren. Dann öffnete sie die Pforte und sogartig ließen sich alle Bewohner hineinziehen. Sven und Peter trabten etwas vorsichtiger hinterher, an der Frau vorbei, die sie völlig auszublenden schien, denn sie schloss sogleich das Tor, als die beiden den Saal betreten hatten.

“I should have known better than to let you go alone.”, ertönte es auf einmal von der Bühne am Ende des komplett weißen Saales.
“It’s times like these I can’t make it on my own.”
Und zwischen den Rauchschwaden einer Nebelmaschine erschien schemenhaft der Umriss eines Mannes.
“Wasted days and sleepless nights.”
Weißes Stoffhemd und weiße Stoffhose, barfuß, lange, goldene Mähne, leicht schütter, aber geschmeidig, Bierbauch und Drei-Tage-Bart, kurzum: die Erscheinung eines sündigen Engels.
“And I can’t wait to see you again.”
Die Bewohner hatten sich derweil schon mit hochgerissenen Armen um die Bühne verteilt und bewegten diese leidenschaftlich von links nach rechts, als der Sänger zur zweiten Strophe ansetzte.
„Meister!“, stieß es aus Sven heraus, bei dem die Musik und generell das ganze Ambiente einen Nerv getroffen zu haben schien.
„Der alte Schulz!“, sagte Peter trocken und lachte lautstark gegen die Geräuschkulisse an.