Mo rieb sich die Augen und ging schweren Schrittes zum Tresen. „Ihr zwei habt mir gerade noch gefehlt. Von was für einem Brief faselst du? Guck doch in der Jacke, die du hier gestern vergessen hast.“
„Oh! Ach ja!“, sagte Sven und langte nach der Jacke an der Garderobe.
„Na, ihr Hübschen, warf Hannes ein. Wieder in baller gewesen gestern?“
„Naturellement, rief Peter selbstgefällig. Wir sind nur unserer wochenendlichen Pflicht nachgekommen. Saufen und nach Hause laufen.“
„Spinner! Und wie läuft die Arbeitssuche?“ Hannes lachte.
„Ja, muss, wieso, nee, ach, frag lieber Sven. Das Thema Arbeitsamt zieht sich zurzeit wie ein roter Faden durch seinen Alltag.“ Peter konnte nicht anders, als das Wort “rot” besonders stark zu betonen.
„Na dann, wie sieht’s aus Sveni?“
Sven, der sämtliche Koseformen seines Namens hasste, reagierte nicht.
„Sven!“, stieß Peter ihn in die Rippen.
„Hä, was soll die Scheiße?“ Er musterte ungläubig den Brief vom Arbeitsamt, den er unter dem Tresen versteckt hielt. „Verdammt, hatte ich fast vergessen.“
„Was isn das?“, fragte Hannes und beugte sich weit über die Bar, um einen Blick zu erhaschen.
„Los, mach auf!“, sagte Peter.
Mo stellte zwei Bier auf den Tresen und blickte ebenfalls gespannt auf den grauen Kuvert aus recyceltem Altpapier, den er nur zu gut kannte.
„Hö!“, lachte er höhnisch auf. „Das kann ja nichts Gutes sein. Mir habense neulich das Arbeitslosengeld gekürzt, die Schweine. Weil ich die Meldepflicht vernachlässigt habe oder so.“
„Du bist arbeitslos?“, erklang es aus drei durstigen Kehlen gleichzeitig. Darauf eine seltsame Schweigepause und dann Gelächter.
„Mo“, stotterte Peter unter Lachen, „bist du freiwillig hier?“
„Freiwilliges Gastronomisches Jahr“, fügte Hannes hinzu und alle waren nicht mehr einzukriegen.
„Ich bin auf Aufaffer, ihr Stocken. Äh… Aufstocker, ihr Affen.“
„Aufaffer!“, grölten die drei, während Peter und Hannes sich festhalten mussten, um nicht vom Barhocker zu kippen.
Nachdem das Lachgewitter langsam abgeklungen war, fragte Hannes, sich stark zusammenreißend: „Was ist denn ein Aufstocker?“
„Das ist, wenn man arbeitet, der ganze Scheiß aber nicht zum Leben reicht und man sich den Rest beim Amt erbetteln muss.“, entgegnete Mo humorlos.
Eine ernüchternde Pause folgte und auf einmal war es so still im Schmiedehammer, das die Stille unsere Helden vollends einnahm. Gedankenverloren starrten sie vor sich hin, geistesabwesend, betrübt. Es war, als wären sie in einem Ozean des Schweigens gesunken und alle Mühe, nach oben zu gelangen, war vergebens, denn was hätte ihr Auftauchen bewirkt, außer ein paar kleine Wellen und ein bisschen Gischt am unerreichbaren Strand?
„Ist schon scheiße.“, sagte Peter leise.
„Ja, is scheiße.“, murmelte Sven.
„Scheiße!“, flüsterte Hannes.
„Nun lasst mal die Köpfe nicht so hängen. Ich spendier ne Runde Schnaps. Sven, willste nich endlich mal deinen Brief aufmachen?“
„Ja genau, nu mach endlich!“, forderten Peter und Hannes.
„Okay okay! Ich mach ja schon.“
Sven öffnete vorsichtig den Brief und begann zu lesen. Als er fertig war, blickte er verstört in die Runde.
„Nun sag halt! Was steht drin?“
Er zitierte Fragmente aus dem Brief: „Aufforderung zur Mitwirkung – Komm nächsten Montag persönlich vorbei, Zimmer 113 – Bei Nichterscheinen werde ich dich hart bestrafen – Kuss, Lydia. Darunter ein roter Lippenstiftfleck.
Peter klopfte Sven beglückwünschend auf die Schulter. Hannes sah aus, als hätte er einen Geist gesehen und wollte Sven den Brief aus der Hand reißen. Mo stellte drei Schnäpse auf den Tresen und sagte: „Also, irgendwie klingen die Briefe vom Amt bei mir immer anders.“
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