XII

Sven schaute aus dem Fenster. Der graue Dunst hatte sich zu einem Schleier ausgebreitet, der das Dorf eingehüllt hielt. Wenn heute irgendetwas Schreckliches hier passierte, keiner würde es bemerken, dachte Sven und wehrte in Gedanken Peters Verlangen ab, von ihm umgebracht zu werden. Es war genau dieses Wetter, das ihn eigentlich aufmunterte, solange er keine Verpflichtungen hatte. Und solche waren nicht in Sicht. Darum nahm er sich vor, den ganzen Tag über die Wohnung nicht zu verlassen, die Welt draußen ihrem Schicksal zu überlassen und erwartete sehnsuchtsvoll den Anbruch der Nacht.

Zehn nach Acht klingelte es an seiner Tür. Sven kam gerade aus der Dusche und wollte sich eigentlich was zu essen machen, als ihm klar wurde, dass Peter vor der Tür stehen musste. Er hatte so ziemlich den ganzen Tag Playstation gespielt und einige schwierige, zeitintensive Missionen geschafft, daher störte ihn der verdrängte Besuch nicht sonderlich.

„Hallo Peter!“
„Hallo Sven! Deine Haare sind nass.“
„Ja, ich war gerade duschen. Komm doch rein. Deine Haare sind aber auch nass.“
„Regnet.“
„Ach so, ja, komisches Wetter heute. Aber ich mag das.“
„Ja, super Zockwetter.“
„Genau.“

Sie gingen ins Wohnzimmer, wo noch die Spuren des durchspielten Nachmittags zu sehen waren.

„Ein ganz schöner Saustall hier!“, sagte Peter.
„Das musst ausgerechnet du sagen!“, entgegnete Sven. „Ich hatte auch eigentlich nicht mit dir gerechnet. Mal ehrlich, was schickst du mir für bekloppte SMS?“
„Welche SMS? Hab ich doch gar nicht. Du hast geschrieben, ich soll um 8 bei dir sein.“
„Ja, stimmt, deine Nachricht war vor 5 Jahren. Irgendwas mit Dinosauriern auf dem Weihnachtsmarkt in Dubrovnik. Und das heute ein guter Tag zum Trinken wäre. Ich denke, davon bist du wohl nach wie vor überzeugt, oder?“
„Ja klar, ist ja auch scheißegal, ich wäre wahrscheinlich eh vorbeigekommen. Hast du ein Bier?“

Sven ging an den Kühlschrank und entnahm zwei Bier. Überrascht erblickte er die Schokomilch und freute sich, dass er morgen keine kaufen brauchte.

„Und? Was lag an heute?“, fragte Sven.
„Nichts, wie immer eigentlich.“
„Hast du auch gezockt, ja?“
„Ja, ein bisschen. Bei dem Wetter.“
„Bei so einem Wetter bin ich froh, jetzt und hier zu leben.“
„Jetzt und hier?“
„Ja, ich meine in der heutigen Zeit. Mit einem Dach überm Kopf und allen Annehmlichkeiten. Weder Kälte, noch Hunger, noch Durst oder sonst irgendwas können mir was anhaben. Da hatten die Leute früher in ihren feuchten Höhlen bestimmt nichts zu lachen.“
„Feuchthöhlenspastis!“, entgegnete Peter ernst.
„Nun sei nicht gleich wieder so negativ.“, erwiderte Sven mit einem Hauch Ironie in der Stimme, von der er glaubte, dass Peter sie heraushören könnte, waren sie doch so ziemlich auf einer Wellenlänge, was gegenseitige Kommunikation betraf.
„Die Geschichte mit dem Arbeitsamt lässt mich nicht los, fuhr Sven fort, nachdem beide an ihrer Flasche genippt hatten. „Gestern hatte ich im Traum Sex mit der Rothaarigen vom Arbeitsamt. Wir hatten tiefgründige Gespräche geführt und so, und dann ist es einfach passiert. Dabei weiß ich nicht mal, ob es diese Frau gibt, mir ist immer noch nicht klar, ob ich überhaupt auf dem Amt war und diese Frau dort arbeitet, oder ob all das ein Produkt meiner Fantasie ist.“
„Traumsexnutte!“, sagte Peter in einem Anflug von Resignation.
„Weißt du, ich mache mir schon Sorgen wegen dieser Geschichte. Mein Leben verläuft in einigermaßen geordneten Bahnen, da sollte so was nicht passieren. Nicht, dass ich nicht Herr der Lage wäre, aber irgendwie ist das alles komisch.“
Nach einer kurzen Pause sagte Peter plötzlich: „Vielleicht hilft dir das ja auf die Sprünge. Habe ich unten aus dem Briefkasten gezogen.“
Verdutzt blickte Sven auf den Brief mit dem Absender: Arbeitsamt.