VII

„Freiwilligkeit hin oder her, ich dachte die Frage wäre wann, wobei mich das Wie dann doch irgendwie mehr beschäftigt. Eigentlich hab ich mit diesen gesellschaftlichen und sozialen Überlegungen nicht so viel am Hut. Also wirklich, als Held sterben, Fortschritt der Menschheit, Märtyrer, das ist doch dann auch wieder albern. Dann sind wir wieder bei diesem verdammten Idealismus. Wenn ich bereit bin für etwas zu sterben, muss ich davon überzeugt sein. Und wenn ich so überzeugt davon bin, dass ich dafür sterben würde, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich Recht habe und die Anderen Unrecht. Und das ist doch wieder das menschliche Dilemma schlechthin: Überzeugung, Wahrheit, Glauben. Also wenn ich mich schon umbringen lasse, dann bestimmt nicht um die Welt zu retten. Und überhaupt drehst du dir das Ganze hin, wie du es brauchst. Das Ergebnis bestünde doch nicht in einer geretteten Menschheit sondern aus wütenden Mobs, die glücklichen Menschen nach dem Leben trachten, um die eigene Erlösung zu finden.“

Peter lachte laut auf: „Glücklichen Menschen nach dem Leben trachten? Ich hoffe, du meinst damit nicht dich. Es geht doch hier nicht um Glück oder Unglück oder Erlösung. Und um Überzeugung und Glauben schon gar nicht. Sondern um Sinn. Nicht diesen belanglosen Scheiß, den jeder in seinem Leben sucht, sondern den ultimativen Sinn der Existenz. Vielleicht erschließt sich das alles mit dem Tod, vielleicht wenn man bewusst alle sozialen und gesellschaftlichen Brücken einreißt, und das für immer und endgültig.“

„Ich weiß nicht.“, sagte Sven zweifelnd. „Um ehrlich zu sein, ist mir das alles zu doof, also dieser metaphysische Unsinn und das philosophische Gelaber. Grundsätzlich macht ja manches Sinn und klar sind das Gedanken, die man sich so macht und machen kann, aber für mich klingt das auch nach Gejammer. Alles muss einen tieferen Sinn haben und wegen der unfassbaren Angst vor dem Nichts und dem Unsinn, versuchen wir die Welt zu erklären. Ist das nicht zu banal?“ Sven schüttelte nur den Kopf, nahm lächelnd seine noch halbvolle Bierflasche und erhob sich vom Stuhl. “Wenn du schon an deine morphogenetischen Felder glauben willst und dass sich irgendetwas für einen von uns beiden oder die gesamte Menschheit erfüllt, wenn du mich mit 99 Anderen umbringst, dann gebt mir wenigstens 100 Gründe, warum es keinen Sinn macht mich umzubringen. Oder noch besser, warum es völlig bedeutungslos ist, ob ihr mich umbringt oder nicht. Aber egal, wir sehen uns.“ Sven verließ das Zimmer und ging schnell die Treppen hinunter, ehe Peter noch etwas sagen konnte. Im Flur wartete er einen Moment, bis er sicher war, dass Peter ihm nicht folgte und rief schließlich: „Machs gut, und überleg dir, wo du mich umbringen willst. Bloß nicht hier, in unserem Kaff. Das wäre zwar schön aber kompliziert. Und geh mal raus, dann kommst du vielleicht auf andere Gedanken.“ Peter antwortete nicht und als Sven das Haus verließ, war er überrascht, dass es bereits dunkel war. Der Kirchturm schirmte Peters Haus fast vollständig vom Sonnenlicht ab und nur das Braun der Feldsteine änderte seine Schattierung, je nachdem ob sie von der Sonne oder von einer Mischung aus Mond und der Straßenlaterne an der Ecke angestrahlt wurden. Kein Wunder dachte Sven: Dunkles Haus, dunkle Gedanken. Aber wahrscheinlich ist das relativ und irgendwie macht ja auch alles Sinn. Also nichts von dem was Peter sagt, aber irgendetwas Generelles.