VI

Peter starrte leeren Blickes auf den Fußboden, ehe er sich erhob, ans Fenster schritt, es einen Spalt öffnete und sich eine Zigarette anzündete. Nach einigen kräftigen Zügen fragte er: „Kennst du die Legende vom 100. Affen?“ Sven schüttelte verlegen den Kopf, doch Peter beachtete ihn gar nicht und fuhr fort. „Im Prinzip ist es eine Geschichte über sogenannte morphogenetische Felder. Das sind unsichtbare Energiefelder, über die Lebewesen Energie und Informationen austauschen können. Ende der 50er Jahre hat man auf irgendeiner japanischen Insel einem Makaken gezeigt, dass er sein Essen vor dem Verzehr waschen muss. Andere Affen folgten seinem Verhalten, bis beim 100. Exemplar plötzlich ein Bewusstseinssprung stattfand und die ganze Population, ja sogar Affen der anderen Inseln dieses Verhalten nachahmten.“

„Meinst du die japanischen Badeaffen?, warf Sven ein. „Ja!“, schnaufte Peter leicht enttäuscht, dass dies die Hauptinformation zu sein scheint, die sein Freund aus der Geschichte gezogen hat. „Schöne Geschichte, aber was hat das mit der Art und Weise zu tun, wie du mich umbringen würdest?“

„Die Frage ist nicht wie, sondern wann.“ Svens Blick verfinsterte sich etwas. „Wenn die Zeit reif dafür ist. Wenn ein kollektives Bewusstsein für deine Ermordung entstanden ist. Wenn 100 Leute dir nach dem Leben trachten. Vielleicht sogar dann, wenn du es wagen solltest, mit japanischen Makaken zu baden.“

„Jetzt wirst du aber albern. Davon hättest du ja nichts. Ich dachte, wir reden hier über dein verkorkstes Leben und dass du einen Auslöser brauchst, um die Negativspirale zu durchbrechen. Wie kannst du dann davon reden, mich im Kollektiv umbringen zu wollen? Klingt wie so ein perverser Killer-Klub. Ich hoffe, du verkehrst nicht heimlich mit zwielichtigen Gestalten.“

„Nein, nur mit dir, keine Sorge. Aber du verstehst nicht. Angenommen, es gäbe diese morphogenetischen Felder; dann wäre der Mord an dir vielleicht eine Möglichkeit, weltweit Gleichgesinnte aus der Negativspirale zu katapultieren.“

„100 Typen, die genauso krank drauf sind wie du? Und danach alle geläutert? Und dann Weltfrieden oder was?“ Sven hielt sich den Bauch vor Lachen.

„Du kennst doch die uralte medizinische Diskussion, ob man zum Wohle der Menschheit das Recht besäße, nur einem einzelnen Menschen Leid anzutun oder ihn sogar umzubringen. Findest du es nicht ungemein egozentrisch von einem Individuum, sich dieser Aufgabe zu verschließen? Der einmaligen Chance, sich in den Dienst zum Fortschritt der Menschheit zu stellen, inklusive der namentlichen Überlieferung und Überdauerung irdischer Lebenszeit als Held?“

Nun ja, manche Menschen hängen vielleicht an ihrem Leben. Ich fände es im Übrigen sehr schön, wenn du mich vor einem solchen Vorhaben fragen würdest, ob ich überhaupt Lust habe, für dich oder irgendjemanden den Märtyrer zu spielen. Außerdem glaube ich, dass es zum Wohle der Menschheit auch immer freiwillige Probanden geben wird, die ihr Leben dem höheren Zweck opfern würden, weil sie den höheren Zweck in ihrem eigenen Leben nicht mehr erkennen.

Gut gesprochen, mein Freund. Da du aber es warst, der das Thema seiner Ermordung überhaupt erst angeregt hat, sollten wir anfangen, an deiner Freiwilligkeit zu arbeiten.